von Oliver Wrede
Oktober 2001
erschienen in De:Bug
Erst in jüngerer Zeit erscheinen Artikel und Beiträge über Weblogs. Es hat eine Weile gedauert, bis traditionelle Medien das Phänomen »Weblog« registriert und ernstgenommen haben. Die Eigendynamik wurde nicht verstanden oder unterschätzt und viele Redaktionen wollten diese Randerscheinung als Thema nicht aufgreifen, weil es eher ein neues Hobby von vereinsamten Net-Addicts zu sein schien.
In der Diskussion über das »Elektronische Publizieren« gab es einen Konsens darüber, dass klassische Publikationsmodelle prinzipiell in das Internet übertragbar sind. Jedoch war auch immer unbestritten, dass die Technologie derartig gestaltbar ist, dass sich zwangsläufig neue Modelle entwickeln würden. Ein solches neues Modell sind die Weblogs. Dabei handelt es sich um Internet-Publikationen, die in ihren unterschiedlichsten Ausformungen irgendwo zwischen privater Homepage und Nachrichtenagentur angesiedelt sind. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie einen Kommentar und Links zum Netzgeschehen beinhalten und selbst Netzgeschehen sind („web“) eine chronologische Struktur auf der Startseite haben („log“) in der die aktuellsten Einträge zuerst aufgeführt werden. Neben diesen beiden Hauptkriterien gibt es noch eine Reihe weiterer Merkmale, die zwar bei vielen Weblogs vorzufinden sind, jedoch nicht unbedingt vorhanden sein müssen: Auflistung »befreundeter« Weblogs als Kontext, Adressierbarkeit einzelner Einträge, Kommentarfunktionen oder eigene Foren, eigene Mitgliederlisten, kalendarische Navigationshilfen, Statistiken über die Herkunft der Besucher, Zugriffssteuerung für die Kollaboration mehrere Autoren, etc.
Mit Hilfe dieser Eigenschaften lassen sich unter dem Begriff Weblogs folgende Websites zusammenfassen: persönliche Sites mit privaten Kommentaren, themenspezifische Weblogs, projektbezogene Weblogs zur Arbeitsorganisation, Gruppen- oder Community-Weblogs, Weblogs mit regionalem Bezug, Weblogs professioneller Nachrichtenagenturen, experimentelle Weblogs, Weblogs zum Dokumentieren einer Entwicklung, Weblogs zum Vorbereiten und begleiten einer Veranstaltung oder eines Ereignisses. Es gibt sicher noch weitere Formen.
Einige Autoren, die sich mit dem Thema bereits befasst haben, gehen im Detail nur auf die Weblogs in Form elektronischer Tagebücher ein. Es ist zutreffend, dass ein Grossteil der inzwischen mehreren hunderttausend Weblogs im Internet solche privaten Sites einzelner Personen sind, aber das Thema Weblogs nur unter diesem Gesichtspunkt zu behandeln wäre zu einfach. Würde die einzige Motivation für den Betrieb eines Weblogs die Selbstdarstellung und die Veröffentlichung des Privaten sein, dann wäre die Weblog-Szene sehr einseitig.
Der Erfolg der Weblogs ist ganz wesentlich auch darin begründet, dass vor wenigen Jahren verschiedene Softwareentwickler Anwendungen erfunden haben, die das Erstellen und pflegen solcher Weblogs so stark vereinfachen, dass jeder mit wenig Kenntnisse und in wenigen Minuten und ohne Installation einer Software eine solche Site erzeugen kann. Viele Anbieter solcher Anwendungen stellen ihr System kostenlos zur Verfügung (z.B. blogger.com, manilasites.com) – gewissermaßen als freie Content Management Systeme für jedermann.
Aus technischer Sicht besteht die Magie der Weblogs darin, dass sie unabhängig von der inhaltlichen Ausrichtung technisch relativ kompatibel sind und man mit Hilfe spezieller Datensammler-Software und standardisierter Protokolle die Beiträge tausender Individuen verschmelzen kann zu einem kontinuierlichen Nachrichtenstrom, in den man sich nahezu in Echtzeit einklinken kann wie ein Börsenmakler in Aktienkurse. Nicht die Institution »Redaktion« garantiert die Qualität der Beiträge, sondern der gute Ruf einzelner Individuen, deren Namen in der Szene bekannt sind wie DJs in der Musik-Szene. Und tatsächlich betreiben sie in gewisser Weise eine Art »News-Jocking« indem sie ihrer Stammleserschaft einen Schmankerl nach dem anderen präsentieren. Belohnt werden diese Opinion-Leader mit Aufmerksamkeit in Form von Zugriffen und Links, die andere auf ihre Seiten legen. Jeder Weblogger will also seine regelmäßige Leserschaft bei Laune halten und sich durch besonders nennenswerte Einträge auszeichnen. Über automatisierte statistische Auswertungen lassen sich Rangfolgen besonders häufig erwähnter URLs (blogdex.media.mit.edu) und oft gelesener Weblogs (www.weblogs.com) erstellen, so dass das Auffinden der wichtigsten und besten Weblogs garantiert ist. Da viele Weblogs nach dem Prinzip »Linkst Du mich link ich Dich« Quellenangaben neben die Einträge setzen und oft auch ihre eigenen Weblog-Favoriten auflisten, kann man sich unablässig von einem Weblog zum nächsten klicken – solange, bis man seine eigene Bestenliste erstellt hat.
Ausgestattet mit einem solchen kollektiven Selektions- und Bewertungsprinzip entsteht mit zunehmender Erfahrung der Weblog-Gemeinde eine interessante Alternative zu den etablierten Magazinen. Diese ist in Geschwindigkeit überlegen und stellenweise hinsichtlich der Qualität den professionellen Vorbildern gewachsen. Es ist aber fraglich ob sich dieser Trend so weit durchsetzt, dass ein kollektiver Guerilla-Journalismus entsteht, der nicht mehr durch das Diktat von Chefredaktionen gebändigt wird, sondern nur noch durch das kollektive Votum der Internet-Gemeinschaft. Einen ersten Großtest gab es in Folge der Terroranschläge: während Berichte und Beiträge amerikanischer Zeitungen und Fernsehsender versuchten sich gegenseitig mit Amerikazentrismus und Regierungsfreundlichkeit zu überbieten, blieben die Weblogs sehr facettenreich. Wer in den USA wirklich informiert sein wollte konnte mit etwas Eigeninitiative und mit Hilfe der Weblogs exzellente Informationen und Beiträge erhalten: Kommentare von amerikanischen Intellektuellen die in keinem der großen Zeitungen abgedruckt worden wären .
Und es waren die Weblogger selbst, die erkannt haben, dass ohne die Verbreitung von Weblogs in Ländern wie Afghanistan, Irak und China ihre Sicht vorerst die einer westlich geprägten Informationselite bleiben wird. Aber es ist auch diese Informationselite, die das Internet gestaltet, weil sie sich ihre Werkzeuge selbst schaffen. Das Motto wurde einst von einem der Weblog-Pioniere in Anlehnung an Kennedy so formuliert: »Don’t ask what the Internet can do for you – ask what you can do for the Internet!«.