Designer und die Brauchbarkeit

von Oliver Wrede
am 25. November 2000

Usability-Experten treten derzeit mit sehr plausiblen Argumenten auf, um den zahlreichen Design-Unfällen im Bereich der Neuen Medien Einhalt zu gebieten. Es geht aber mehr als um ein besseres Design. Der ingenieurwissenschaftliche Hintergrund des „Usability Engineering“ macht auch vieles zunichte, was das Design mühsam etabliert hat.

Seit einigen Wochen geht ein Aufruhr durch die Design-Magazine und -Mailinglisten. Die Usability-Experten (allen voran die Vertreter der Nielsen Norman Group) behaupten mit ihren Analysemethoden die Ursache für alles schlechte Design auf dieser Erde gefunden zu haben.

Die Positionen

Die beiden extremen Positionen zwischen Design und Gebrauchstauglichkeitsprüfung lassen sich inetwa so zusammenfassen:

Die Usability-Position behauptet

  • nur sie habe die Testmethoden, die brauchbare Produkte garantieren, und welche Designer entweder nicht haben oder nicht anwenden wollen
  • daß analytische Vorgehensweisen untypisch für Designansätze und -konzepte sind und somit häufig unzureichende Resultate produzieren

Die Designer-Fraktion – nicht minder platt – beruft sich darauf, daß Usability Engineering

  • Standards zu etablieren versucht die nur zu Diktaten werden können
  • das Design langweilig und emotional spröde machen wird
  • keine eigene Quelle für Innovationen ist, weil sie nur Entwürfe bewerten, aber keine eigenen produzieren

Beide Positionen sind in ihrer Kritik sehr treffsicher. Welche Schlüsse soll man nun daraus ziehen? Warum gibt es diesen Disput überhaupt?

Territorien

Es ist natürlich völlig offensichtlich, daß der Markt für qualitativ hochwertige Designberatung sehr groß ist. Das Problem wird in dem Moment offenkundig, wo man als Designagentur mit erheblichem Aufwand einen Entwurf erstellt – vielleicht sogar in mehreren Varianten – und mit ansehen muß, wie bei der Präsentation beim Kunden der ‚hauseigene‘ Usability-Experte die Entwürfe auseinandernimmt.

Das tragische ist, daß sich die Usability-Experten zu Schiedsrichtern erklären, da sie vorgeblich empirisch gestützte Argumente einbringen, um die Qualität von Design zu bemessen.

Diese Form von Beratung ist in hohem Maße erwünscht von Klienten, die oftmals selbst zu wenig Erfahrungswerte besitzen. Designer, die sich auf diese Art attackiert sehen, werden vor ein schlichtweg unlösbares Problem gestellt.

Empirie

Der Designprozeß benötigt in seinem Entstehungskontext ein anderes Empirieverständnis. Zu jeder Zeit spielt die Erneuerung und die Verbesserung gegenüber Altem eine große Rolle. Regeln sind flüchtig.

Wie hätte David Carson zu seiner Freiheit im typografischen Ausdruck kommen können, wenn er sich dabei von einem Usability-Experten hätte beraten lassen?

Das Beispiel ist zu extrem gewählt. Aber wo ist die Grenze zwischen expliziter Verleugnung von Interface-Standards und expliziter Befolgung derselben?

Dem Design ist die Dimension des Gebrauchs nicht etwa fremd, sie war immer ein Bestandteil von Design – gerade im Bereich der Neuen Medien. Die Usability -Expertise besteht lediglich darin Benutzer-Tests einzufordern und bestimmte Aspekte auszublenden: z.B. soziale, kulturelle oder ökologische Dimensionen.

Design ist weder ausschließlich das eine noch das andere, und daher sind die Usability-Experten wie Aasgeier, die sich über offenkundige Designmängel hermachen und den Mangel an Methodik im Design anprangern.

Ästhetik ist im Usability Engineering ein Nicht-Wort!

Der Innovationsauftrag, den das Design anerkanntermaßen hat, wird dabei mit Füßen getreten. Die wirtschaftlichen Folgen einer derartigen Zurechtstutzung des Designs mit durchaus fragwürdigen Effizienzkriterien sind nicht bezifferbar.

Aber seht selbst!

Nun ein paar Links, die ein wenig erhellen sollen:

Die Diskussion über die Palm Beach Wahlzettel ist für die Usability-Experten ein gefundenes Fressen. In diesem Interview weist Donald Norman zurecht auf das Usability Problem hin, welches dazu geführt haben könnte, daß George Bush in Florida vorne lag. In dem Interview behauptet Norman, daß Usability-Experten nur ernstgenommen würden, wenn sie sich als Informationsdesigner ausgäben. Hier wird von ihm – bisher ohne großen Widerspruch – impliziert, daß Designer keine Usability-Experten sind und solche auch nicht werden können. Es geht hier tatsächlich um Aufträge (und somit Geld) und Einfluß für eine Partei der Nicht-Designer. Hier soll explizit eine Haltung provoziert werden, die dem Design kritisch gegenübersteht, wenn es nicht durch Usability-Experten validiert und evaluiert wird.

Die Designer wehren sich äußerst unbeholfen. Man versucht diesen Ehrgeiz zum Beispeil den Schwung zu nehmen: Usability sucks oder Nielsen for president

Andere Artikel versuchen Lücken in einzelnen Argumentationen aufzudecken – wie z.B. in der etwas gewagten These von Jakbob Nielsen, daß 99% aller Flash-Websites grundsätzlich schlecht seien.

Diese Angriffe auf einzelne Äußerungen gehen aber nicht weit genug. Sie führen eher dazu, daß die Designer sich untereinander wieder in die Haare kriegen und den intentionalen Hintergrund solcher Äußerungen nicht erkennen.

Das Design soll in seine Schranken verwiesen werden. Anderen Ortes wird mit einer schlichten Metapher schon klargemacht, wie der Markt in Zukunft aufzuteilen ist: The iceberg of usability.

‚What we can learn…‘

Man könnte nun die These vertreten, daß es sich bei der ganzen Usability-Debatte, um eine Trenderscheinung handelt und nach einer Weile die kurzsichtigen Ansätze von selbst verschwinden. In einer Zeit, wo alles „absolutly usable“ geworden ist – dank der Usability-Experten – wird sich der Markt wieder nach dem fehlerhaften Design sehnen.

Ich glaube dafür sind die Argumentationsketten der Usability-Experten jedoch zu gut und die Kunden im Kontext der Verunsicherung, die – glücklicherweise – vom Design ausgeht zu leichtgläubig.

Darüber hinaus müssen Designer gestehen, daß die von den Usability-Experten aufgezeigten Problem oftmals tatsächliche Probleme sind.

Es ist nicht damit getan sich weiter auf das Design zu konzentrieren und hier und da ein wenig Usability Gedanken mit einfliessen zu lassen: dann wird der Stellenwert des Designs unterminiert und die ingenieurswissenschaftlich gesteuerte und kontrollierte Gestaltung zur einzig verkaufbaren Dienstleistung werden.

Als Designer sollte sich fragen, ob sie sich mit dieser Perspektive anfreunden können!